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Bundeswettbewerb, Olymiade, Platz 1, Platz 3 – Gerrit Heuermann hat einen ganzen Ordner voll Urkunden, die seine Freude belegen, für knifflige Matheaufgaben elegante Lösungen zu finden. - Foto: Schwarze

TWISTRINGEN (aks) „Das hier war in Göttingen. Hier ist Österreich, hier nochmal Göttingen.“ Wenn er durch den Ordner blättert, meint man, es müsse ein Fotoalbum sein. Bilder von Alpenpanorama, Fachwerkhäusern und Gänseliesel-Brunnen tauchen in der Fantasie auf. Tatsächlich hat man aber Tabellen vor sich. Etwas schmucker, aber immer noch weit entfernt von pittoresk sind die Urkunden dazwischen. Sie bescheinigen beste Leistungen in einem Fach, das nur wenige auf Anhieb mit dem Begriff „schön“ in Verbindung bringen. Eine „schöne Lösung“ war es aber, die Gerrit Heuermann jetzt eine Urkunde beim Bundeswettbewerb Mathematik bescherte. Wieder einmal.

„In einem konvexen regulären 35-Eck sind 15 Ecken rot gefärbt. Gibt es bei jeder solchen Färbung unter den 15 roten Ecken drei Ecken, die ein gleichschenkliges Dreieck bilden?“ Wer beim Wort konvex schon überlegen muss, löst in seiner Freizeit keine Aufgaben, die auch nur einen Deut über die Pflicht-Hausaufgabe hinausgehen. „Man muss sich einfach ein 35-Eck vorstellen...“, erklärt der Abiturient aus Marhorst seinen Denkeinstieg in diese Aufgabe aus dem jüngsten Bundeswettbewerb. Einfach. Eine Eigenschaft, die er von der ersten Klasse an mit Mathematik in Verbindung bringt. „Da habe ich schon immer die besten Noten gehabt.“ Alle elf Schuljahre lang bis zum Abitur in diesem Frühjahr.

Doch, natürlich kann Gerrit bis zwölf zählen, musste er in Sachen Schule aber nicht. Da er im Kindergarten schon lesen konnte, übersprang er eine Klasse in der Grundschule. Gerade 17 Jahre alt war er, als sein Abi in der Tasche hatte. Als einer von 20 Abiturienten des Twistringer Jahrgangs 2017 mit einer Eins vor dem Komma kommt er sich nicht herausragender vor als andere. „Die Schulmathematik bietet keinerlei Herausforderungen für ihn“, weiß jedoch sein Schulleiter und Leistungskurslehrer Peter Schwarze. Glatte 15 Punkte, 1+, volle Punktzahl – an eine andere Note in Mathe kann Gerrit sich nicht erinnern.

Was ihn an Mathe so begeistert? „Man muss es nur verstehen.“ Einfach nur, hätte er auch sagen können. Man muss es einfach nur verstehen. „In Mathe kann man sich alles herleiten. In Physik nicht. Entweder man lernt und weiß, wie ein Motor funktioniert, oder eben nicht.“ Gerrit schätzt das Theoretische an seinem Lieblingsfach. Das Tor zu dieser Seite der Mathewelt öffnete sich jedoch erst spät für ihn. In der siebten Klasse legte ihm ein Lehrer Aufgaben eines Wettbewerbs vor. Der Schüler löste sie und fand sich sofort im Landesentscheid wieder. Wie seitdem in jedem Jahr.

Schubfachprinzip, heinersche Zahlen – Wettbewerbsmathematik nennt Gerrit Heuermann die Disziplin, für die er sich begeistern kann. Besonders, wenn es um geometrische Fragestellungen geht. „Die mag ich am liebsten. Dafür habe ich einen Blick.“ Stundenlang über den Weg zur Lösung nachzudenken, um dann den schönsten, den elegantesten zu gehen, das ist seine Passion. „Es ist Belohnung genug, die Lösung zu finden“, kommentiert er seinen dritten Platz im Bundeswettbewerb. Das Preisgeld von 75 Euro „ist nett“ für den angehenden Studenten. Aber Ruhm und Ehre sind für ihn längst nicht alles. „Ich mache gerne, was ich gut kann, und übe weiter, weil ich mich verbessern möchte“, ist seine Motivation.

Ein Master der Mathematik möchte er werden. Spätere Promotion nicht ausgeschlossen. Sich an einer Uni in das Reich der Formeln und Zahlen zu vertiefen, das ist sein Traum. Bei einer Bank oder Versicherung könnte er auch tätig werden. „Mathematik ist vielseitig“, befindet er. Doch da würde er es vielleicht zu sehr mit der Praxis zu tun bekommen. Nein, die Theorie, dafür schlägt sein Herz. Was die Mathematik angeht.

Denn in seinem zweitliebsten Fach ist er ein ebenso talentierter Pragmatiker. Gerrit spielt Geige mit Begeisterung. Und nicht in jedem Fach wird man ein Meister, nur weil man die Regeln beherrscht und anwendet. „Ich kann die deutsche Grammatik, habe in der Interpretation von Texten aber keine 1“, zeigt er die Vorteile von Mathe auf, wie er sie sieht. „Mathematik ist die Sprache der Natur. Sie hilft, die Dinge zu verstehen.“

Nicht immer auf den ersten Blick. Eine Stunde hat er überlegt, bis er bei der genannten Wettbewerbsaufgabe auf die Idee gekommen ist, das 35-Eck in sieben regelmäßige Fünfecke zu zerlegen und der Lösung damit zum Greifen nahe zu kommen. „Diese eine Stunde war mir zu lang dafür“, wertet er seinen Erfolg selbstkritisch aus. „Effizienter bin ich, wenn ich unter Zeitdruck stehe.“

An anderer Stelle hat er nach sechs Stunden die Lösung zu Papier gebracht. Stunden, die er Minute für Minute genoss. „Nach einigen Stunden hatte ich einen schönen Ansatz gefunden und kam durch einen sehr schönen Beweis zur Lösung“, erinnert er sich gerne an diese Nachtschicht vor dem Abgabetermin.

Er weiß um seine Wettbewerbsstärken. Die vielen Seiten in seinem Ordner zeugen davon. Bundeswettbewerb Mathematik, Mathematikolympiade, Jugend trainiert Mathematik, überall war er erfolgreich dabei. Sogar als Teil einer sechsköpfigen Na- tionalmannschaft bei der Mitteleuropäischen Matheolympiade in Österreich.

Das Abiturzeugnis und die fast noch druckfrische Urkunde sind die vorerst letzten Seiten, die seinen stattlichen Ordner füllen. Demnächst wechselt er die Seiten, denn nach dem Schulabschluss darf er kein Teilnehmer mehr sein. Helfer aber durchaus. Korrektor, präziser gesagt. Ob er sich zutraut, die Aufgaben von Oberstufenschülern zu bewerten? „Das ist eine Frage der Idee, wie man zur Lösung kommt. Hat man die Idee, hat man die Lösung“, ist die Formel für ihn. Ganz einfach.