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Abiturienten stellen mit Theaterstück die Frage nach der „Schuld“

TWISTRINGEN (aks) Ein Mörder beschwert sich vor Gericht, dass er im Verfahren unfair behandelt worden sei. Darf er das? Mit dieser Frage konfrontieren 22 angehende Abiturienten die Zuschauer, wenn sie am 14. und 15. März jeweils ab 19.30 Uhr das Theaterstück „Schuld“ auf die Bühne ihrer Schule bringen. Grundlage ist der Fall Magnus Gäfgen. Und mehr noch. Die Teilnehmer des Seminarfachs „Theater“ am Twistringer Hildegard-von-Bingen-Gymnasium stellen die Verhandlung nicht nur nach, sie fordern das Publikum auf, das Ende zu bestimmen. Ein Urteil zu fällen.

Magnus Gäfgen. Es gibt Namen, die sind lange aus den Schlagzeilen verschwunden, bleiben aber unvergessen. Magnus Gäfgen ist so ein Name. Wer etwa 35 Jahre alt oder älter ist, dem zieht sich bei Nennung dieses Namens sofort der Magen zusammen. Im nächsten Moment taucht das Bild eines fröhlichen Jungen im Gedächtnis auf. Jakob. Auch sein Name ist sofort präsent. Magnus Gäfgen hat den Bankierssohn Jakob von Metzler vor 15 Jahren entführt, um vom Lösegeld seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Das Kind wird gefunden, weil Gäfgen unter Androhung von Gewalt den Aufenthaltsort preisgegeben hat. Jakob ist tot. Gäfgen wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Und beschwert sich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass das in Artikel 3 beschriebene Folter- und Misshandlungsverbot verletzt wurde und sein Verfahren daher nicht fair gelaufen sei.

„Zu Beginn des Schuljahres war die Meinung der Schüler dazu eindeutig. Seitdem ist viel passiert.“ Meike Schröder hatte ihrem Kurs vorgeschlagen, sich mit diesem Stoff auseinanderzusetzen. Das Bühnenstück hat die Lehrkraft für Englisch, Geschichte und Darstellendes Spiel selbst verfasst. Ihr erstes Theaterstück. „Mich hat die Figur Gäfgen interessiert, weil sie nie Emotionen oder Reue gezeigt und in mir nichts als wahnsinnige Wut ausgelöst hat“, sagt sie.

Seit einem halben Jahr setzen sich die Schüler des Seminarfachs mit dieser Figur auseinander. Das psychologische Gutachten, die Argumente der Staatsanwältin, die der Verteidigung, die Sicht von Jakobs Mutter. Alle Positionen haben sie verinnerlicht, können sie auswendig. „Gäfgen möchte man nichts zugestehen, aber ist das richtig?“ Im Stück sind die Namen der tatsächlichen Personen verfremdet, die Geschichte hält sich jedoch an die Tatsachen. Linus Bavendiek spielt Markus Graf, wie Gäfgen hier heißt. Seinen Anwalt gibt Dustin Striepe. Der stellvertretende Polizeipräsident, dessen Name der „Daschner-Prozess“ trägt, wird in der Inszenierung zu Drescher und von Timon Müller gespielt. Als Staatsanwältin tritt Emely Thelken auf.

Die Antwort haben die Teilnehmer für sich gefunden. Ihrem Publikum bleiben sie sie schuldig. „Am Ende wird jeder im Zuschauerraum mit seiner Eintrittskarte abstimmen. Wir haben uns auf alle möglichen Ausgänge dieser Entscheidung vorbereitet“, sagt Meike Schröder. Ein vergnüglicher Theaterabend wird das also nicht. „Wir fordern unser Publikum.“ Es wird zwei Pausen geben, damit das Gehörte, Tatsachen wie Beurteilungen, diskutiert werden, damit sich eine Meinung bilden kann. „Wir sind sehr gespannt und freuen uns auf ein großes Publikum mit einem breiten Altersspektrum“, so Meike Schröder. Karten gibt es nur an der Abendkasse. Natürlich erwartet sie auch zahlreiche Schüler unter den Zuschauern. Geeignet hält sie das Stück für Jugendliche, die mindestens die achte Klasse besuchen. Die Jahrgänge ab 2003. Dem Jahr, in dem Jakob starb. Die wenigsten von ihnen werden den Namen Gäfgen bisher gehört haben. Das müssen sie aber.