20181015

Latif besucht gerne seinen Bruder in Hannover, kehrt dann jedoch immer wieder schnell nach Bassum zurück, denn: „Bassum ist meine zweite Heimat“. Foto - Schaffer

Bassum - Von Mara Schaffer. In seiner Freizeit unterhält sich Latif Al Dakhi am liebsten mit Menschen, gerne auch mit älteren. „Die reden immer so viel und haben mehr Erfahrung als wir.“ Als er einem älteren Herrn von seinem Traumberuf Mathelehrer und der Aussichtslosigkeit, dieses Ziel zu erreichen, erzählt hat, habe dieser gesagt: „Komm, wir fahren jetzt zum Twistringer Gymnasium und fragen einfach mal.“

 

Das war im Februar 2017. Seitdem besucht Latif das Gymnasium in Twistringen und ist seinem Ziel, ein großes Stück näher gekommen. Er dankt besonders Maria Poll, der stellvertretenden Schulleiterin, die sich sehr für ihn ins Zeug gelegt habe. Ebenso wie Michael Schläger, ehemaliger Lehrer am Hildegard-von-Bingen-Gymnasium, der ihm dreimal in der Woche Deutschförderunterricht gibt. „In der Schule erhalte ich so viel Unterstützung durch meine Mitschüler und Lehrer, dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Latif.

Ihm sei von Anfang an bewusst gewesen, dass Menschen ihm nur helfen könnten, wenn er selbst Initiative zeige und auf sie zugehe, wofür die Sprache unumgänglich sei. „Wie sollen mich Deutsche unterstützen, wenn sie nicht wissen, was ich möchte oder brauche?“

Latif fühlt sich toleriert und auch integriert. „Alle wollen, dass ich weiterkomme, obwohl sie nichts davon haben. Das werde ich nie vergessen. Sollte ich in drei Jahren, wenn meine Aufenthaltserlaubnis endet, vielleicht doch in den Irak zurückgeschickt werden, werde ich trotzdem nur gut über Deutschland reden.“

Latif und seine Geschwister leben inzwischen alle in Deutschland

Im Dezember 2015 hatte sich Latif auf den Weg gemacht – war aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Bis dahin lebte er in einem Dorf, das zu Shingal gehört, einem der Hauptdistrikte der im Nordirak lebenden Jesiden. Dann kam im August 2014 der IS. Mit 20 Jahren ist Latif der Jüngste von fünf Brüdern, die größtenteils im Irak ihr Abitur abgeschlossen haben. Ihm fehlte noch ein Jahr, als der Krieg begann.

„Meine Eltern wussten, dass wir dort keine Zukunft hätten haben können“, erzählt Latif. Deshalb hätten sie das Land verlassen. Die Familie zählt zu den Jesiden; mit einer Million weltweit eine absolute Minderheit. Latif erzählt von Frauenhandel ab dem neunten Lebensjahr. Männer seien einfach erschossen worden und Kinder mitgenommen, damit man ihnen den „richtigen“ Glauben aufzwingen könne.

Nun lebt er mit zwei kleineren Schwestern, einem Bruder und seinen Eltern in Bassum. Die restlichen Geschwister leben mit ihren Familien in Deutschland verteilt.

„Alle wollen, dass ich weiterkomme“

Auf die Frage, was er aus seinem Heimatland am meisten vermisse, antwortet er „Kindheitsfreunde und -erinnerungen. Den Ort, wo ich die schönste Zeit meines Lebens verbracht habe.“ Er erzählt, wie gerne er irgendwann noch einmal durch die Straßen gehen würde, in denen er als Kind gespielt hat. „Aber meine Stadt liegt in Schutt und Asche.“

Bis er und seine Familie in Deutschland die Aufenthaltserlaubnis in Händen halten konnten, sei fast ein Jahr vergangen, sodass Latif erst ab Januar 2017 einen Integrationssprachkurs besuchen durfte. Trotzdem spricht er fließend deutsch und hat eine Vorliebe für Sprichwörter entwickelt. „Denn das Leben ist kein Zuckerschlecken“, sagt er.

Ihm sei klar gewesen, dass die deutsche Sprache die Grundlage für Integration sei, deshalb habe er sich mithilfe des YouTube-Kanals von Khaled Bozan viel selbst beigebracht.

„Integration ist schnell möglich, wenn man fleißig und geduldig ist“

Die Flüchtlingsinitiative Willkommen in Bassum (WiB) hat ihm ebenfalls geholfen. So besuchte er beispielsweise den Sprachkurs, den Dörte Binder ehrenamtlich an der Grundschule Petermoor anbietet. Er erinnert sich auch an Treffen im Familienzentrum, bei denen sich die in Bassum lebenden Flüchtlinge kennenlernen konnten. Latif wünscht sich eine Wiederholung dieser Treffen.

Nur vereinzelt komme es vor, dass der junge Mann mit Vorurteilen konfrontiert werde. Im Zug hätten sich Personen, nachdem sie ihn angesehen haben, woanders hingesetzt.

Latif hofft, dass der Kampf gegen Rassismus anhält, betont aber, dass der erste Schritt auch von den Ausländern selbst kommen müsse. „Integration ist schnell möglich, wenn man fleißig und geduldig ist. Dazu muss man immer ambitioniert bleiben, die Sprache zu lernen und Kontakte mit Deutschen zu knüpfen.“ Danach sei alles einfacher. Latif ist überzeugt: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“